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Rezensionen
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Marion Keuchen
Benita Joswig
altäre. Theologie und Kunst im urbanen Raum — ein Tischprojekt,
PThK Bd. 12, Gütersloh 2003
Tische: Was sind sie zunächst mehr als horizontale, durch senkrechte Halterungen vom Boden
abgehobene Flächen?
Dass Tische viel mehr sein können, zeigt Benita Joswig in ihrem Buch, das berichtet, was geschieht, wenn ein
alltäglicher Tisch zu einem anderen Ort gebracht und dort in einen Altar umbenannt wird.
Joswig beschreibt und interpretiert ihr 1994 in der Unterneustadt in Kassel durchgeführtes Kunstprojekt.
Dieser Teil von Kassel wurde im Zweiten Wellkrieg zerstört. Ihr Kunstprojekt in einer existierenden Stadt soll
diese mit der ehemaligen, zerstörten verbinden. Diese Verbindung geschieht durch eben solche Tische, die
Joswig aus ihren alltäglichen Lebenszusammenhängen als altäre auf den Platz in der Unterneustadt der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.
Ihr Buch ist keine Kunstinterpretation in dem Sinne, dass Joswig ein fremdes Kunstwerk interpretiert und als
Gegenüber betrachtet.
In ihrem Projekt selbst steckt ihre eigene Auseinandersetzung mit theologisch-ästhetischen Fragestellungen.
Joswig bringt sechs Themenbereiche, wie z.B. Gemeinschaft, Erinnerung und Gottes Präsenz, durch
Spiegelungen ihres Kunstprojekts mit theologischen Blicken und vor allem mit der Frage nach Gott in Kontakt.
Die Verfasserin betrachtet kultur- und kirchengeschichtliche, soziologische, ästhetische, biblische und theologische Bedeutungen von Tischen und Altären von alttestamentlicher Zeit bis heute. Dabei spielen für sie Fragestellungen wie der Altar als Ort des (Kult-)Opfers, als Ort im Tempel, als Ort im Gottesdienst und als Ort der Präsenz Gottes wichtige Rollen.
Diese Überlegungen verknüpft Joswig mit ebensolchen historischen Linien und interdisziplinären Bedeutungszusammenhängen von Tischen als Orten der Versorgung, der sozialen Absicherung, aber auch der Ausgrenzung und als Orte Gottes.
Joswig kommt zu dem Schluss, dass sowohl Tische als auch Altäre Schutz, Erinnerung und gerechte Verteilung bieten können und somit Gottes Präsenz erscheinen lassen können.
Der Tisch kann Altarcharakter bekommen und der Altar kann Tischcharakter haben. Das Buch zeichnet sich durch Fotos der Unterneustadt und der Projektdurchführung aus. Auch die Einschübe der Spiegelungen schaffen Verbindungen und Assoziationen über das bereits Gelesene hinaus und lassen Möglichkeilen der Präsenz Gottes durchscheinen.
Joswigs Buch ist bereichernd zu lesen für Menschen, die an einem konkreten Gespräch von Kunst und Theologie interessiert sind. Vielleicht wird ihr Blick auf den alltäglichen Tisch in ihren Wohnungen nach der Lektüre dieses Buches ein anderer.
Marion Keuchen
JUNGE-KIRCHE (Jg.65) 01/04
Helmut A. Müller altäre. Theologie und Kunst im urbanen Raum — ein Tischprojekt, PThK Bd. 12, Gütersloh 2003
Die vorliegende Arbeit, mit der die Autorin 2001 an der Universität Paderborn promoviert worden
ist gehört zu den äußerst seltenen Untersuchungen, in der eine Künstlerin ihr künstlerisches Projekt
als Theologin im Gespräch mit der Alt- und Neutestamentlichen Bibelwissenschaft, der
Kirchengeschichte, der Ästhetik und der Praktischen Theologie interdisziplinär zu erschließen sucht.
"Interdisziplinär bedeutet, dass ich biblisch-, systematisch- und praktisch-theologische,
kirchengeschichtliche, religionswissenschaftliche, soziologische, historische und ästhetische
Fragestellungen miteinander in Beziehung setze, um damit die in dem Kunstprojekt angelegte Frage, welche
Interdependenzen und Korrelationen zwischen Tisch und Altar bestehen können, herauszuarbeiten.
Grundlegend geht es bei diesem Projekt darum, ein Gespräch über das Verhältnis von Tisch und Altar zu inszenieren, die Macht der Namensgebung und der Umbenennung eines Gegenstandes ernst zu nehmen und Fragen nach Profanität und Sakralität zu stellen.
"Die Frage nach Ort und Raum war während der Realisierung des Kunstprojekts wichtig und ist auch jetzt innerhalb der theologischen Reflexion entscheidend. Tisch und Altar sind nicht ortsunabhängig zu denken" (Benita Joswig).
Die Künstlerin und Theologin Joswig hatte 1994 104 Kasseler Bürger dafür gewonnen, einen von ihnen regelmäßig genützten Tisch aus ihrer Privatwohnung für zweiuneinhalb Tage Altar zu nennen und diesen Tisch für das Projekt "altäre" auf dem Areal der 1943 bei einem Bombenangriff zerstörten Kasseler und danach zum Fest- und Kirmesplatz umgewidmeten Unterstadt auszuleihen.
Die Tische wurden exakt über den Grundmauern von 103 zerstörten Hausen der Kasseler Unterstadt aufgestellt, die als Bodendenkmäler unter der Grasnarbe und dem Asphalt des Platzes erhalten sind.
Fragen der Erinnerungskultur spielten ebenso eine Rolle wie die seit Duchamp möglich gewordene Ernennung von Alltagsgegenständen zur Kunst und die damit verbundenen performativen Sprechakte.
In Joswigs Kunstverständnis spielen die heilende Funktion von Kunst ebenso herein wie die Bindung von Verstehen an Erlebensgemeinschaften und Erkenntnisprozesse über den Abstand der Zeiten hinweg.
Für die Begegnung von künstlerischem Prozess und theologischem Diskurs ist für Joswig die Metapher der Spiegelung zentral.
Sie erinnert an Michel Foucaults Vorstellung von der Utopie des Spiegels und seine Rede, dass er ein Ort ohne Ort ist. "Im Spiegel sehe ich mich da, wo ich nicht bin: In einem unwirklichen Raum, der sich virtuell hinter der Oberfläche auftut; ich bin dort, wo ich nicht bin, eine Art Schatten, der mir meine eigene Sichtbarkeit gibt, der mich erblicken lässt, wo ich abwesend bin" (Michel Foucault).
Spiegelungen sind für sie wie für die Psychoanalyse Schwellenphänomene, in der sich mit Jacques Lacan Ich- Sozial- und Weltbewusstsein und eine virtuelle Zusammenschau entwickeln können.
Spiegelungen sind Botschaften, die über den Abstand der Zeiten hinweg in der Gegenwart zwar gebrochen und verzerrt, aber doch deutlich in ihrer Bedeutung für die Antike und die Gegenwart sichtbar werden können.
"Die Erkenntnis liegt in der Annäherung, Differenz und Deutung damaliger und heutiger Glaubens- und Erfahrungswelten".
Joswig konzentriert sich im Folgenden auf die für sie wichtigsten Interpretamente Gemeinschaft, Tausch, Bewegung, Gerechtigkeit, Erinnerung und Gottespräsenz.
Anders als in Jan Hoets Projekt "Chambres d‘Amis" lässt sie nicht Künstler in Privatwohnungen arbeiten, sondern holt private Objekte, nämlich Tische, in die Öffentlichkeit und erklärt sie dort zu Altären. Damit spielt sie auf die Nähe von Tisch und Altar an, die sie in ihrer Ausdifferenzierung in die vorstaatliche Zeit Israels zurückverfolgt.
Anders als in der Hauptlinie des Diskurses zwischen Kunst und Theologie versucht sie, ihr künstlerisches Schaffen theologisch zu begreifen und nähert sich der Frage an, ob ihre Aktion den Ort des Grauens heilen kann. Ihre dichten Spiegelungen der "altäre" in vorstaatlicher Zeit, von Opfergaben als Ritual in Gabe und Gegengabe, von "altären", die als Leiter und Stein Himmel und Erde verbinden und zu fließenden Objekten, Orten der Gerechtigkeit und befreienden Handlungsräumen werden, öffnen den Blick und stellen in einen selten weiten kulturellen Diskurs.
Es wäre wünschenswert, wenn die von Joswig praktizierte "Spiegelung" methodisch weiter ausgefaltet und daraufhin befragt werden könnte, was sie systematisch und hermeneutisch für die Begegnung von Kunst und Religion leisten kann.
Artheon
Mitteilungen der Gesellschaft für
Gegenwartskunst und Kirche, Stuttgart
September 2003
Martin Ahrens
Diskussion um Kreuz und Auferstehung
Claudia Janssen/Benita Joswig (Hg.).
Erinnern und aufstehen - antworten auf Kreuzestheologien, Mainz 2000
Der reichlich sperrige Titel enthält eine Menge Programmatik. Erinnern: Die acht Autorinnen des Bandes hatten trotz unterschiedlich ausgeprägter feministischer Kritik fest an der theologischen Tradition von Karfreitag und Ostern, sie trauen der Erinnerungskraft der biblischen und theologischen Überlieferung, in der viel Schmerz und Hoffnung geronnen sind, die zumindest im Subtext lesbar bleiben, sie setzen auf das Erinnern der Bilder, in denen sich die Auseinandersetzung mit den Ansprüchen der Tradition verdichtet - gleich vier Texte beschäftigen sich mit Kunstwerken: Benita Joswig mit der Installation Verrückter Tanz von Ulrike Rosenbach, Magdalene L. Frettlöh mit der Kreuzestafel des lsenheimer Altars, Andrea Bieler mit Rosemarie Trockels Installation "Ich habe Angst" sowie Rachel Seifert mit dem Kreuzweg von Henri Matisse.
Zugleich verbindet die Autorinnen der Aufstand gegen die Selbstverständlichkeit dogmatischer Formelsprache und gegen jede Funktionalisierung des Leides durch den
Opferdiskurs - sei es in der "klassischen" Satisfaktionslehre, sei es im Kontext mancher Ausprägungen von Befreiungstheologie. Innerhalb dieser gemeinsamen Koordinaten entwickelt sich das Buch aber herzerfrischend heterodox.
Die beiden Herausgeberinnen und die sechs weiteren Autorinnen entstammen keinesfalls alle einem gemeinsamen Gesprächszusammenhang, der ihre Zugänge harmonisiert hätte, noch einem einheitlichen Lebenskontext, der die Perspektiven einschränken würde. Vielmehr unterscheiden sie sich zum Teil erheblich in der Art des Zugriffs auf ihr jeweiliges Thema und stehen zueinander in inhaltlicher wie emotionaler Spannung.
Von einer Entwicklung zur mancherorts so gern diagnostizierten (feministischen) "Neoorthodoxie" ist hier jedenfalls nicht viel zu spüren.
Und so wird auch der letzte Programmpunkt des Titels eingelöst: antworten auf Kreuzestheologien, nicht in substantivierter Starrheit, sondern als Prozeß, als Bewegung, spannungsreich und lebendig. Und es wird eine Gesprächskultur vorgeführt, die unseren Kirchen lieb und kostbar sein muß.
Der Aufbau des Buches ist insgesamt übersichtlich und macht es für die Predigt- und Bildungsarbeit sehr hilfreich: Zu den Stichworten Christologie, Erlösung und Heil, Auferstehung, Sünde und Karfreitag haben Claudia Janssen, Luise Schottroff und Andrea Bieler 4-seitige Überblicksartikel verfaßt, die den Zusammenhang herstellen, in den die spezifischen, weiterführenden Artikel von Beate Wehn, Regula Strobel, Luise Schottroff und Claudia Janssen sowie der oben genannten Autorinnen eingebettet sind.
Leider hat der Matthias-Grünewald-Verlag wohl nicht ganz begriffen, was für Pretiosen der theologischen Gesprächskultur er in Händen hält, sonst hätte er sicherlich in Bezug auf Layout und Lektorat etwas mehr Liebe und Sorgfalt in das Projekt investiert. So kommt es reichlich unscheinbar und mit ein paar satz- und bindetechnischen Ungereimtheiten daher, die um so mehr schmerzen, als sie im krassen Gegensatz stehen zur Qualität der Beiträge. Jedenfalls freue ich mich schon darauf, besonders in der Passions- und Osterzeit mit dem Band zu arbeiten.
Zeitschrift für Gottesdienst und Predigt
Januar 2001
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