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Grüne Ohren
Kunstobjekte aus Wachs (Parafin) 350
Stück
Gegossen und handgearbeitet, Raumbespielung
Benita Joswig
Künstlerin Barbara Bux
1997 - 2004
Stationen:
Kassel
Göttingen
Hannover
Frankfurt
Hamburg
Kompositionen:
Tilmann Künzel; Michael Vorfeld; Rachel Seifert und Anja Kreysing
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Grüne Ohren
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Eine synästhetische Erfahrung
Ein Beitrag der Kunsthistorikerin Dr. Viola Michely (Köln)
(aus: Katalog Grüne Ohren Kassel 1997)
Inszenierungen von Objekt- und Tonkünstlern und -künstlerinnen gehen an der Peripherie deutscher Kunstzentren temporäre Verbindungen ein.
Diese Verbindungen entspringen dem wissenschaftlichen Interesse an den grundsätzlichen Fragen der Wahrnehmung.
Welche Arten der Wahrnehmung können unterschieden werden?
Wie funktioniert die Wahrnehmung?
Woraus besteht der jeweilige Wahrnehmungssinn und wie ist er zu charakterisieren?
Wie entsteht eine Vorstellung vom Wahrgenommenen im Inneren?
Und schließlich: Gibt es dabei Verbindungen zwischen den einzelnen Sinneswahrnehmungen, die in der Wissenschaft mit dem Begriff der Synästhie umschrieben werden?
Barbara Bux und Benita Joswig haben sich als bildende Künstlerinnen in ihrer Objektfindung dem Gehörorgan und Gehörsinn zugewandt.
Aus dieser intensiven Beschäftigung entstanden 350 Objekte, die sie "Grüne Ohren" nennen.
Jedes der Objekte ist aus grünem Wachs individuell gegossen und nach dem Erkalten handbearbeitet. Die etwa handgroßen Objekte haben eine äußere Trichterform und zeigen auf der Innenseite Verlaufsspuren des flüssigen Wachses: kleine erkaltete Strudel- und Kräuselbewegungen ins Innere.
Es handelt sich somit nicht um die naturalistische Nachahmung des Ohres oder des Inneren des Ohres, wie der Titel vermuten ließe.
Trotzdem erinnern sie an medizinische Anschauungsapparate mit ihrer wächsernen künstlich-glatten Oberfläche, der im naturalistischen Sinne verfehlten Färbung so wie die Farbe oft in medizinischen Lehrbüchern zu Anschauungszwecken eingesetzt wird und der Emphase auf die Darstellung innerer Strukturen.
Warum die Farbe Grün eingesetzt wurde oder warum diese Form gewählt wurde, entzieht sich einer rationalen Erklärung. Die Erfindung dieser Objekte mit ihrer Materialität, Form und Farbe basiert auf dem Nach-Empfinden und Er-Ahnen der Hör-Wahrnehmung.
Die erste Präsentation dieser 350 Grünen Ohren fand in der evangelisch-reformierten Kirche in Göttingen statt.
Die barocke Saalkirche ist nach calvinistischem Grundsatz das Wort Gottes ist Mittelpunkt des religiösen Lebens von jeglichem Bildwerk gereinigt. Einziges Dekor bilden zwei Aids-Schleifen am Vorhang hinter dem Altar.
Der in verschiednen Kulturen, wie in der mittelalterlichen Gesellschaft des Islam und Byzanz, immer wieder durchbrechende Ikonoklasmus basiert auf dem Grundsatz "Du sollst dir kein Bildnis von Gott machen" und im Falle islamischer Moscheeausstattung auf der Erkenntnis meditativer die Wahrnehmung auf geistige Strukturen lenkenden Wirkung von Ornamenten.
Auch der Grundsatz der reformierten Kirche versucht durch Sinnesreduktion Raum für vollkommene Gemüts- und Sinnesentfaltung zu schaffen. Die sinnliche Wahrnehmung wurde in dieser Installation auf verschiedenen Ebenen angeregt und führte zu einem multiplen sinnlichen Erleben. Die Reduktion auf die Wiederholung eines immer gleichen und doch verschiedenen Motivs lenkt die ästhetische Erfahrung auf imaginativ -gedankliche Prozesse.
Dies wurde verstärkt durch das Konzert anlässlich der Eröffnung mit zeitgenössischen Kompositionen, die eigenes für dieses Installation geschaffen wurden. Besonders in Michael Vorfelds Komposition Für grüne und andere Ohren kam die Expansion der Töne in den Raum surrend, klirrend, mal sanft, mal gewaltig besonders gut zur Geltung. Parallel zu diesem Vorgang verführten die Grünen Ohren, die auf den Kirchenbänken bereit lagen, zum Anfassen. Ihre Form schmiegt sich in den Handteller.
Die glatte, fettende Wachsoberfläche schmeichelte der Haut. Die Sogwirkung der Töne findet ihre Entsprechung im Sog des erkalteten Wachses auf der Objektinnenseite und im eigenen Inneren.
Die innere bildliche Vorstellung war so ganz auf die eigene sinnliche Wahrnehmung angewiesen, die aufgrund der temporären Sinnesereignisse einer Kombination aus Tasten, Hören, Sehen nicht durch einen zweiten Blick verifiziert werden konnte.
Bilderfeindliche Tendenzen können auch in der nicht mehr kirchlich dominierten, modernen Gesellschaft festgestellt werden, beispielsweise in Projekten der Konzeptkunst.
Die Entstehung einer Vorstellung zu analysieren, und nicht eine schon in der Darstellung festgelegte Vorstellung wiederzugeben, beschäftigte viele Künstler und Künstlerinnen, allen voran Marcel Duchamp.
Gerade das obsessive Durchspielen eines Motivs war ein Stilmittel, das die notwendige Offenheit und Variabilität mit sich brachte, solche Untersuchungen zur Wahrnehmung und Bedeutungsentstehung durch-zuführen.
Denn das, was Duchamp in seinem berühmten Aufsatz über den kreativen Schöpfungsakt als Osmosis, d.h. Durchdringung bezogen auf die Schöpfenden und Betrachtenden, bezeichnete, kann hier auf eine Durchdringung der verschiedenen Sinne ausgeweitet werden.
Für den Beginn dieser Entwicklungsgeschichte können unzählige Beispiele seit den 60er Jahren angeführt werden. In Claes Oldenburgs Maus-Museum versammelte sich alles, was Mäuseohren hatte, und Marcel Broodthaers spielte das Motiv Adler in seinem fiktiven Modernen Kunst Museum von der Steinzeit bis zur Moderne, vom Banalen bis zum Kunstwerk durch.
Die japanische Künstlerin Yayoi Kusama stattete ganze Räume mit einem Ornamentüberzug aus unablässig kleinteiliger Wiederholung von beispielweise Makkaronis aus.
Von John Cage bis zur neuen deutschen Figuration ist das Prinzip der exzessiven Wiederholung eines Motivs als notwendige Befreiung und Neubeginn wirksam.
Die Grünen Ohren sind Teil einer unendlichen Serie mit dem Ziel einer Annäherung an die Erfahrung der Sinneswahrnehmung, ein Versuch, das Nachbild vor dem inneren Auge festzuhalten. Hinterher fragt man sich, wie man von so kleinen, unscheinbar wirkenden Dingen wie den Grünen Ohren in Bann gehalten werden konnte.
Doch auch in der distanzierten Sicht auf die Grünen Ohren bemächtigen sich diese wie eine aus der Vorstellung kommende Invasion jeden Ortes, ob auf dem Richtertisch im Hessischen Verwaltungsgerichtshof, im Fahrstuhl oder auf der Straße.
In der Neustäder Barockkirche in Hannover bildeten sie eine dichtgedrängte konzentrierte Masse im Chorraum.
Der heilige Raum einer jeden Kirche, der Chor, ist gen Osten ausgerichtet, dort, wo die Sonne aufgeht.
Als wollten die Künstlerinnen den grünen Fleck vor dem inneren Auge festhalten, der sich einstellt, wenn man in die Sonne blickt.
Die Verknüpfung einzelner Sinnesempfindungen meist einer Verbindung von akustischer und visueller Sinneswahrnehmung, mit denen die Synästhetiker begnadet sind ist wissenschaftlich noch nicht erforscht. Richtlinien oder Gesetzmäßigkeiten, die Synästhie zu erlernen, gibt es nicht.
Dem ist nur mit einer anzustrebenden Grundhaltung größtmöglicher Offenheit und verstärkter innerer Wachheit zu begegnen.
Stationen der Grünen Ohren
- Station: Evangelisch Reformierte Kirche/Göttingen 1997
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Station: Treppe, Hessischer Verwaltungsgerichtshof/Kassel 1997
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Station: Richtertisch, Hessischer Verwaltungsgerichtshof/Kassel
1997
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Station: Fahrstuhl, Hessischer Verwaltungsgerichtshof/Kassel 1997
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Station: Kantine Kassel 1997
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Station: Friedrichsplatz Kassel vor dem ersten deutschen Kunst-
museum Fridericianum/Kassel 1998
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Station: Tapetenmuseum Kassel 1998
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Station: Marktkirche Hannover 1998
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Station: Dach der Frankfurter Commerzbank 1999
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Station: Hauptkirche St. Katharinen/Hamburg 2004
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